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Sportschütze hört vor allem mit den Augen

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Berschweiler. Als Sebastian Herrmany zum ersten Mal richtig spricht, ist er neun Jahre alt. Der heute 20-jährige Schreinerlehrling ist seit der Geburt hochgradig hörgeschädigt. Auf dem rechten Ohr ist der junge Mann vollständig taub, auf dem linken hört er dank eines Cochlae-Implantats minimal.

Schon der Start ins Leben beginnt für Sebastian Herrmany mit Stolpersteinen. Das Neugeborene kommt mit einem offenen Bauch zur Welt, wird sofort operiert. In den ersten 99 Tagen nach seiner Geburt muss der Säugling insgesamt drei Operationen über sich ergehen lassen. Diese verlaufen gut, der Junge bekommt Antibiotika und erholt sich. Die Eltern sind erleichtert. Doch als Sebastian im Alter von zwei Jahren immer noch kein einziges Wort spricht, machen sie sich erneut ernsthafte Sorgen. Dass etwas nicht stimmt, haben sie schon früher geahnt, "selbst bei Staubsaugerlärm hat der Junge durchgeschlafen", erinnert sich sein Vater Lothar Herrmany. "Wir haben uns auch gewundert, dass er nicht auf Sprache, sondern nur auf Handzeichen und andere optische Signale reagiert hat", erzählt Petra Herrmany, die Mutter.

Als die Eltern mit ihrem Sohn den Arzt aufsuchen, bestätigt dieser: Sebastian ist fast vollkommen taub. Die feinen Härchen in der Ohrschnecke, die bei hörenden Menschen den Schall zum Hörnerv weiterleiten, sind bei Sebastian seit dem Säuglingsalter defekt. Die Ärzte gehen davon aus, dass die Antibiotikaeinnahme in seinen ersten Lebensmonaten für die Gehörlosigkeit verantwortlich ist. Nach der Diagnose erhält Sebastian sein erstes Hörgerät. "Damit konnte er zwar ein klein wenig hören, aber nicht genug, um die Lautsprache zu erlernen", sagt Lothar Herrmany. Doch die Eltern geben nicht auf und fördern ihren Sohn. Nach dem Besuch des Regelkindergartens wird Sebastian eingeschult - bis zum zweiten Halbjahr der vierten Klasse ist er, trotz seiner Behinderung, Schüler der Grundschule Berschweiler. Dann wechselt er auf die Wilhelm-Hubert-Cüppers-Schule nach Trier, eine Schule für Gehörlose und Schwerhörige.

Täglich mit dem Bus nach Trier

Nun beginnt ein anstrengender Lebensabschnitt, Sebastian pendelt täglich mit dem Bus nach Trier, muss das Haus frühmorgens verlassen. Auch Operationen stehen wieder an, die Eltern entscheiden sich nach langem Ringen, dem Jungen das Cochlae-Implantat einsetzen zu lassen. Dieses übernimmt die Funktion der geschädigten Haarzellen und gibt die Impulse an den Hörnerv weiter. 2002 ist es soweit: Die Hörhilfe wird in einer mehrstündigen Operation unter Vollnarkose eingesetzt. Der Eingriff ist nicht ungefährlich, es besteht das Risiko, dass die Operation schiefgeht und Sebastian sein Gehör vollständig verliert. Obwohl nach der ersten Operation weitere folgen, zahlen sich die Anstrengungen und Schmerzen aus: Sebastian hört zum ersten Mal in seinem Leben Töne, die zwischen 20 und 40 Dezibel liegen. Eine enorme Verbesserung, denn ohne Hörhilfe nimmt der junge Mann Laute erst ab 110 Dezibel wahr - so laut sind Kreissägen und Presslufthämmer. Nun hört der Junge auch genug, um die Lautsprache zu erlernen. Doch trotzdem hat Sebastian weiterhin Probleme, Menschen zu verstehen, auch sein Wortschatz ist begrenzt. Er hört immer noch hauptsächlich mit den Augen, ist auf das Lippenlesen und auf die Mimik seines Gegenübers angewiesen. Dies bringt im Alltag jedoch einige Probleme mit sich: "Nicht alle Leute sind bereit, deutlich zu sprechen, obwohl sie von meiner Behinderung wissen", erzählt Sebastian.

Aufgeben kommt nicht infrage

Selbst wenn die Mitmenschen kooperativ sind, ist die Kommunikation oftmals stark beeinträchtigt, denn Störgeräusche aus der Umgebung, leises Sprechen oder ein undeutliches Mundbild erschweren Sebastian das Verständnis.

Doch allen Hindernissen zum Trotz kommt Sebastian im Leben sehr gut zurecht. Die Schule hat er 2011 mit der Mittleren Reife abgeschlossen, seitdem absolviert er im saarländischen Eisen eine Ausbildung zum Schreiner. Die Arbeit macht ihm Spaß, auch sein Chef ist sehr zufrieden mit ihm und möchte, dass Sebastian später in seinem Unternehmen bleibt, um den Meister zu machen. Alle paar Wochen fährt er zum Blockunterricht in die Gehörlosenberufsschule nach Frankenthal. In seiner spärlich bemessenen Freizeit widmet sich Sebastian seinem liebsten Hobby: dem Sportschießen. Seit seinem zwölften Lebensjahr ist er beim Schützenverein Hubertus Berschweiler mit dem Luftgewehr aktiv, seit er 17 ist, tritt er auch mit dem Kleinkalibergewehr an. Sebastian gehört zur Nationalmannschaft des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes. 2012 und im Juni dieses Jahres erreicht er den zweiten Platz bei den Deutschen Gehörlosenmeisterschaften in der Disziplin Luftgewehr 60 Schuss, stehend, in der Altersgruppe der Junioren A.

Für die Zukunft hat Sebastian große Pläne: Er möchte sich 2014 für die Deaflympics qualifizieren, auch an den Europameisterschaften in Moskau, die 2015 stattfinden werden, möchte er teilnehmen. Zuzutrauen ist es ihm. Von unserer Mitarbeiterin Silke Bauer


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