Kreis Birkenfeld - Diese Karte stimmt nachdenklich und wirft Fragen auf: Erschreckend hoch ist die Zahl der wegen akuter Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingelieferten Patienten, und zwar in der Altersgruppe der 10- bis unter 20-Jährigen, im Kreis Birkenfeld. Das zumindest sagt eine jüngst im Magazin "Spiegel" veröffentlichte Deutschlandkarte aus, die in den betroffenen Regionen für einigen Wirbel gesorgt hat.
Der Landkreis Birkenfeld ist dort dunkelrot markiert. Ähnlich sieht es in Pirmasens aus, dunkelrot sind auch einige Bereiche in Süddeutschland. In Großstädten und Partyhochburgen ist das Problem scheinbar nicht so groß, wenn man der Karte glauben darf. Die Statistischen Landesämter hatten die Krankenhausstatistik auf Anfrage zur Verfügung gestellt. Die Daten wurden mit der Einwohnerzahl auf Kreisebene verknüpft. So wurde die Quote der Fälle auf die betroffene Altersgruppe errechnet: Im Kreis Birkenfeld entstand letztlich die Zahl 62, die nicht der absoluten Fallzahl entspricht, aber trotzdem Rückschlüsse und deutschlandweite Vergleichbarkeit zulässt. Die Stadt Memmingen in Bayern hält den Negativrekord mit hochgerechnet 99 Fällen.
Trinken sich also im Kreis Birkenfeld Jugendliche eher ins Koma als in Berlin? 45 extrem alkoholisierte Patienten zwischen 13 und 19 Jahren wurden 2011 im Klinikum Idar-Oberstein behandelt. 30 waren zwischen 13 und 17 Jahre jung, 15 zwischen 15 und 19 Jahre. Professor Dr. Eva Möhler, Chefin der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Idar-Oberstein, hat in ihrer beruflichen Praxis häufiger mit dem "Koma-Saufen" zu tun: "Wichtigste Botschaft dazu ist die: Das Koma-Saufen bei Jugendlichen entsteht so gut wie nie durch Stress oder Überforderung, sondern in den meisten Fällen durch Langeweile, auf der Suche nach dem Kick. Und da muss man im Landkreis Birkenfeld ja relativ lange suchen. Zum Teil zumindest." Der Landkreis sei strukturschwach und "sehr arm" an Anregungen: "Insbesondere für Jugendliche, denen der große landschaftliche Charme dieser Region noch nicht so viel bedeutet wie Erwachsenen, die eine andere Sichtweise haben."
Zudem sei durch die ungünstige Verkehrssituation auch die Arbeitslosigkeit hoch - ein weiterer Faktor, der Langeweile bei Jugendlichen fördere: "Wenn die Eltern arbeitslos sind und das allgemeine psychosoziale Niveau niedrig ist, fehlt oft auch die Vorbildfunktion der Eltern hinsichtlich einer sinnvollen und erfüllenden Freizeitgestaltung." Das Trinken sei in den allermeisten Fällen ein Anzeichen von Leere. Nicht nur in Birkenfeld, sondern überall. Wenn es keine anderen Herausforderungen und Anregungen gebe, die die Jugendlichen packen, und auch keine Erwachsenen, die hier in der frühen Kindheit Vorbilder und Hobbys schafften, "dann greifen sie eben nach der Herausforderung Alkohol. Um sich zu betäuben und um sich zu beweisen". Die Fachfrau stellt klar: "Präventive und therapeutische Angebote sind hier gefragt."
Auf der Facebook-Seite der Nahe-Zeitung wird über die Statistik schon eifrig diskutiert.
Sebastian Groß: "Außerdem weiß ich nicht, was diese Statistik aussagen soll? Dass bei uns die Leute so verantwortungsvoll sind und die Jugendlichen ins Krankenhaus einliefern, in anderen Gegenden werden sie sich selbst überlassen? Es sind immer mehrere Lesarten möglich, und man sollte sich nicht gleich jeder populistischen Stimmungsmache hingeben. Und mich würde echt interessieren, warum es im Südwesten und nicht nur im Kreis Birkenfeld gehäufter ist? Und in Mecklenburg-Vorpommern hingegen nur ganz geringe Zahlen? Soziologische wäre man ja eher versucht zu sagen, dass es dort mehr Fälle geben sollte. Wie gesagt man sollte bedenken, dass es die Fälle sind, die im Krankenhaus landen und nicht die Anzahl der Jugendlichen, die eine Alkoholvergiftung hat." Rainer Korn schreibt: "Geht mal am Wochenende durch Birkenfeld. Die Wirtsleute unterstützen doch die Kids noch beim Alk-Saufen. Sehen nur ihren Profit. Es gibt aber auch Ausnahmen. Warum kontrolliert das nicht mal einer?"
Ina Schneider: "Ich verstehe das nicht. Es kann mir doch keiner erzählen, dass es das höchste der Gefühle ist, sich tagtäglich so zu besaufen, dass man nicht mehr weiß, was man tut oder wo man ist. Vielleicht helfen ja Aufklärung oder ein paar Livefilmchen über das Verhalten von Leuten, die hackedicht sind. Dazu noch einige Farbfotos von Leberkarzinomen."
Bianca Ohliger: "In Weierbach sieht man das bei den Jugendlichen jedes Wochenende. Gibt ja auch den ganzen Alkohol direkt um die Ecke!"
Marian Glaser: "Was soll man in dem Kaff auch sonst machen?"
Von unserer Redakteurin Vera Müller