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In Kantinen wird über Tellerrand geschaut

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Kreis Birkenfeld - Die Grünen haben vorgeschlagen, dass es jeden Donnerstag in deutschen Kantinen nur vegetarische Gerichte geben soll. Das wird heftig diskutiert: Für manche ist es Sommertheater im Wahlkampf, anderen gefällt die Idee. Und wie sieht es in Kantinen in unserer Region aus, in der das Grillen bekanntlich Kulturgut ist und Spießbraten zum Alltag gehört? Wir fragten nach.

Rund 600 Essen gehen täglich über die Theke der Elisabeth-Stiftung Birkenfeld. Die Leiterin des Servicebereiches, Sylvia Kirch: "Wir bieten täglich ein vegetarisches Gericht an." Salat gibt es grundsätzlich in großer Auswahl. Aber: "Schnitzel und Currywurst sind die Renner. Vor allem bei Männern. Die Frauen achten eher auf gesunde Ernährung." Oder auf die Figur. Das könne man nicht mit Gewissheit sagen.

Raymond Grimmbach von der Idar-Obersteiner OIE-Kantine: "Wir leben hier in einer Fleischesser-Region, Schnitzel laufen, Aufläufe mit Gemüse eher nicht." Allerdings: "Wir beliefern ja auch Kindergärten. Und da gibt es schon einige kleine Kunden, für die dann Vegetarisches gekocht wird. Gemüsebratlinge, Tofuwürstchen und Ähnliches. Wir stellen uns auf deren Wünsche ein." 60 Essen täglich werden in der Kantine verspeist, 200 gehen außer Haus. Man habe sogar eine Ernährungsberaterin engagiert, die Kalorienpläne und ähnliches erstellt: "Ohne Erfolg. Die Kunden wollten das nicht."

Ernst Renz, Koch in der Kantine des Autozulieferers Ymos, hält nichts von der Forderung der Grünen: "Mir gefällt es nicht, dass die den Vegetariertag erzwingen wollen. Unsere Kunden sind allesamt mündige Menschen, die selbst entscheiden, was sie essen möchten. Die meisten ziehen Fleischgerichte vor." An und für sich findet Renz es gut, vegetarische Gerichte anzubieten. Bei Ymos gibt es beispielsweise zweimal pro Woche neben einem Fleischgericht ein vegetarisches Essen. "Da unser Kundenkreis von etwa 120 Leuten recht überschaubar ist, weiß ich, dass von denen kein einziger reiner Vegetarier ist. Trotzdem wird das vegetarische Essen gerne bestellt. Diese Woche gab es beispielsweise mit Tomaten und Käse gefüllte Zucchini sowie Gemüse-Rigatoni." Wichtiger, als rein vegetarische Gerichte anzubieten, ist es dem Koch jedoch, mit frischen Zutaten ausgewogene Mahlzeiten zuzubereiten.

Benjamin Straus, seit über drei Jahren Mensa-Küchenchef im Umweltcampus Birkenfeld, hat schon Jahre vor der Forderung der Grünen einen vegetarischen Tag eingeführt: "Der Freitag ist bei uns immer komplett fleischfrei." An den anderen Tagen gibt es drei Fleischgerichte und ein vegetarisches. Obwohl laut Straus unter den Gästen die Fleischesser dominieren, essen die meisten trotzdem gerne mal vegetarisch. Viele legen auch Wert auf Fleisch, das nicht aus Massenproduktion kommt. Doch es gibt auch Leute, die sich freitags beschweren, weil sie sich bevormundet fühlen und lieber Fleisch essen würden. "Ich finde die Idee der Grünen gut, man sollte das alles nicht zu verbohrt sehen. Man muss doch wirklich nicht jeden Tag Fleisch essen, vor allem nicht, wenn es schmackhafte Alternativen gibt."

Gerhard Weykopf, Küchenchef in der Cafeteria des Idar-Obersteiner Klinikums, hält ebenfalls viel vom Veggie Day und plant schon seit längerem einen solchen, unabhängig von der aktuellen Diskussion. "In Kürze wird es bei uns einen vegetarischen Tag pro Woche geben, mit Lebensmitteln in Bioqualität. Zudem bieten wir schon lange jeden Tag eine vegetarische Mahlzeit sowie ein frisches Salatbuffet an. Das wird von unseren Kunden sehr gerne angenommen, obwohl Fleischgerichte nach wie vor am beliebtesten sind."

Jürgen Becker, Leiter des Seniorenzentrums der Arbeiterwohlfahrt (AWO), sieht keinen Sinn in einem reinen Vegetariertag: "Unsere Küche bietet ohnehin jeden Tag zwei Hauptmahlzeiten an, von denen eine vegetarisch ist."

Das Bistro im Mehrgenerationenhaus in Idar-Oberstein tischt mindestens einmal, manchmal sogar mehrmals pro Woche ein vegetarisches Gericht auf, wie Leiterin Helga Franzmann bestätigt: "Bei uns gibt es oft abgewandelte Versionen von eigentlich fleischhaltigen Gerichten, zum Beispiel vegetarische Maultaschen oder vegetarischen Schales. Und wer sagt, dass gefüllte Klöße immer mit Speck und Hackfleisch serviert werden müssen?" Rainer Grossmann, Facharzt für Innere Medizin im Birkenfelder DRK-Elisabeth-Krankenhaus, steht dem Veggie-Day positiv gegenüber: "Es ist doch bloß ein Tag in der Woche. Jeder kann natürlich selbst entscheiden, was er isst, aber trotzdem kann es den Fleischessern nicht schaden, auch mal über den Tellerrand zu schauen. Es gibt doch sehr gutes vegetarisches Essen." Generell essen die Deutschen und vor allem die spießbratenbegeisterten Hunsrücker zu viel Fleisch, findet Grossmann. Viel Fleisch und somit viel Cholesterin seien an einem Großteil der Herz-Kreislauf-Erkrankungen schuld.

Eine rein vegetarische oder vegane Ernährung führe auch nicht, wie oftmals behauptet werde, zu Mangelerscheinungen, da es eine Menge Hülsenfrüchte und Gemüsesorten gibt, in denen genügend wichtige Fette und Vitamine enthalten sind. "Man muss sich nur ein bisschen über Lebensmittel informieren, wenn man fleischlos leben möchte", sagt Grossmann. Kindern und Jugendlichen empfiehlt der Mediziner allerdings keine rein vegetarische Ernährungsweise, da diese noch im Wachstum sind.

Von Silke Bauer und Vera Müller


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