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Hanfplantage sollte ihr Augenlicht retten: Mildes Urteil für 63-Jährige

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Idar-Oberstein - Sich durch Anbau und Konsum von Cannabis bewusst strafbar zu machen: Das war aus Sicht einer 63-Jährigen aus der Verbandsgemeinde Baumholder die letzte Chance zur Rettung ihres Augenlichts.

Von unserem Reporter Michael Fenstermacher

Weil die Polizei bei einer Hausdurchsuchung in ihrem Keller 47 Marihuanapflanzen fand, musste sie sich die an grünem Star leidende Frau am Dienstag vor dem Amtsgericht verantworten - und erhielt von Einzelrichter Johannes Pfeifer ein äußerst mildes Urteil: Eine Geldstrafe unter Vorbehalt in Höhe von 1200 Euro, die sie nur dann zahlen muss, wenn sie innerhalb der Bewährungszeit von einem Jahr erneut straffällig wird.

"Sie wussten keinen Ausweg mehr und haben nach dem letzten Strohhalm gegriffen", bescheinigt der Richter ihr in seiner Urteilsbegründung ein menschlich nachvollziehbares Motiv. Zum Schuldspruch sah er wie der Staatsanwalt jedoch keine Alternative. Denn der Anbau von Cannabis könne in Deutschland nur zu Forschungszwecken zugelassen werden.

Fast wie eine Forscherin war die auf dem rechten Auge bereits erblindete Frau bei der Aufzucht der Pflanzen allerdings auch vorgegangen. Mittels des in Cannabis enthaltenen Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) wollte sie verhindern, dass der Augeninnendruck in ihrem linken Auge weiter ansteigt und zu einem völligen Verlust der Sehkraft führt. In ihrer Kellerplantage zog sie deshalb zehn unterschiedliche Sorten der Cannabispflanze hoch. "Interessiert war ich nur an einer Sorte - nämlich der mit dem höchsten THC-Gehalt, die mir tatsächlich geholfen hätte. Den Rest hätte ich verbrannt", erklärt die 63-Jährige, die von einer Berufsunfähigkeitsrente lebt und Grundsicherung bezieht. Ob sie bei der Anlage der Plantage Hilfe hatte und woher sie Pflanzen und Ausrüstung bezogen hat, wollte sie vor Gericht nicht sagen. Das Verfahren gegen ihren anfangs mitangeklagten Mann hat die Staatsanwaltschaft eingestellt.

Für den Richter glaubhaft schildert sie ihre Krankengeschichte: Vor zehn Jahren wird die damals im Ruhrgebiet lebende Frau, die außerdem an Fibromyalgie, einem chronischen Schmerzsyndrom, leidet, an ihrem linken Auge operiert, um den grünen Star aufzuhalten. "Die OP ist nicht wiederholbar und hält auch nur etwa zehn Jahre vor", berichtet sie. Einmal im Jahr besucht sie einen Augenarzt, um den Augeninnendruck messen zu lassen. Im Herbst 2012 dann der Schock: Der für Erkrankte nicht wahrnehmbare Druck ist soweit gestiegen, dass eine Erblindung nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint. "Da bin ich in Panik geraten", sagt die Angeklagte.

Eine Anfrage bei der Krankenkasse, ob die Kosten für ein legales Cannabispräparat übernommen würden, endet erfolglos: "Die haben mir vorgeschlagen, es über ein Privatrezept selbst zu finanzieren, aber das konnte ich mir nicht leisten." Den legalen Weg weiter zu beschreiten hielt die Rentnerin für aussichtslos, wie sie auf Vorhalt des Richters erklärt: "Ich hätte möglicherweise drei, vier Jahre darum kämpfen müssen und wäre in der Zeit blind geworden."

Stattdessen kommt ihr die Idee mit der Plantage. Denn mit der heilsamen Wirkung von Cannabis hat die Rentnerin schon positive Erfahrungen aus der Zeit, als sie und ihr Mann noch im Ruhrgebiet lebten. "Dort war es einfach da heranzukommen, und es hat geholfen", berichtet sie. Mit Cannabis zubereiteter Tee - die 63-Jährige ist strikte Nichtraucherin - habe ihren Augeninnendruck gesenkt und die durch die Fibromyalgie verursachten Schmerzen gelindert. Nach ihrem Umzug in die Provinz sei der illegale Erwerb dagegen schwierig geworden - deshalb der Versuch des Eigenanbaus, der mit der Razzia endete bevor die Cannabisblüten erntereif waren.

"Ich wünsche Ihnen sehr, dass es Ihnen gelingt, ihre Erblindung zu verhindern", sagte Richter Pfeifer der Angeklagten und wies sie auch auf die Möglichkeit hin, bei einer Ablehnung des Urteils Prozesskostenhilfe für eine mögliche Berufungsverhandlung zu beantragen. Ob sie weiter den juristischen Weg beschreiten werden ließen die 63-Jährige und ihr Mann nach dem Urteil offen: "Wir wollen erst noch eine Nacht darüber schlafen."


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